Die Geschichte beginnt diesmal anders als die üblichen Bastelabenteuer des Autors.
Aus einem Jux heraus hat mein freundlicher Bastelkollege Robert Eiber eines Tages den
Wunsch an mich gerichtet, dass ich doch einmal einen R&R Kit bauen sollte, um die
Leiden beim Bau eines solchen Kits nachempfinden zu können.
Selbstbewusst wie ich bin (Ironiemodus an), sah ich in der Aufgabe keine große Herausforderung, da ich in letzter Zeit sowieso nichts mehr anderes als Resin Kits gebaut habe.
"Kein Problem" erwiderte ich .... oder so ähnlich.
Robert hatte sich dann schon gefreut, was ich damals noch nicht ganz verstand.
So nahm das Drama seinen Lauf...!!!
Ich stand vor meiner Wand mit den ganzen Kits und schaute sorgsam nur auf die Promo
Boxen mit R&R Hinweis.
Nach langem Begutachten der einzelnen R&R Kits fiel die Wahl auf einen 1953er Lincoln.
Er wirkte von allen Kits, die ich in die engere Wahl einbezog, am besten baubar.
Auch meinen Willen wieder einen 50s Klassiker zu bauen, bin ich damit nachgekommen.
Eigentlich wäre es egal gewesen welchen Kit ich genommen hätte....Probleme hätten alle
gemacht. Es war wie die berühmte Wahl zwischen Pest oder Cholera gewesen, was mir aber
zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war.
Zweiter Akt: Die Vorbereitungen (oder die Ruhe vor dem Sturm)
Welche Farbe sollte es werden? Die Internetrecherche ergab ein blasses Gelb mit weißem Dach als Favorit. Als nächstes habe ich meine KFZ Farbenfächer herausgeholt und wurde
bei Nissan mit einem stimmigen Ton fündig.
Sofort im Ebay bestellt und zwei Tage später war die Sprühdose hier. Das Weiß hatte ich schon von früheren Projekten.
Um genaue Details an dem Wagen zu erkennen lud ich mir einige Bilder aus dem www
herunter und druckte sie auf DIN A4 aus. Nun konnte es endlich losgehen.
Ich nahm die Karosserie in die Hand und verglich sie mit den Bildern um die Vorarbeiten
festzulegen...
Dritter Akt: Die Ernüchterung (und die Wahrheit über R&R)
Der Schreck sass tief und ich erinnerte mich an Roberts Worte über R&R.
Was war passiert?
Beim ersten „genauen" Check des Kits fand ich soviel Problemstellen, dass ich
das Projekt am liebsten gleich wieder in die Kiste zurück gelegt hätte. Aber mein Ego sagte mir:
Jetzt erste recht!
Wie wäre ich denn vor Robert dagestanden? Neee.... !!!
Hier ein kleiner Auszug aus der Mängelliste:
Body unsymmetrisch rechts/ links
Scheinwerferöffnungen sind oval statt rund und viel zu platt
Rücklichter sind nur rote viel zu große Resinklumpen
Stoßstangen passen überhaupt nicht zur Karosserie
Interior und Unterboden passen nicht in den Body
Radstand von Unterboden passt nicht zur Karosserie
Scheinwerfer,Lenkrad, Radkappen, Stehblech vorne, Spritzwand und Motor fehlen
Schriftzug auf Motorhaube unbrauchbar
Scheiben passen nicht
usw.
Vierter Akt: Die Karosserie – ein Albtraum!
Zähne zusammenbeissen und durch war nun die Devise.
Ich begann mit der Karosserie und damit gleich mit der grössten Baustelle.
Am Heck fehlte am Übergang zur Stoßstange ca. 5mm Material, was ich mit
Evergreen ersetzte.
Die ovalen Scheinwerferöffnungen wurden aufgebohrt und mit Plastkrundmaterial eines Kugelschreibers und mit Spachtel neu aufgebaut.
Am linken Schweller fehlte Material welches auch mit Evergreen ersetzt wurde.
Vorne und hinten gab es keine genaue Position für die Stoßstangen. Mit viel Evergreen konnte ich dieses Problem beheben.
Neue Fenstereinfassungen zur besseren Passung des Interiors wurden mit Evergreen Leisten erzeugt.
Der Schriftzug auf der Kühlerhaube stellte mich vor ein besonderes Problem.
Die einzelnen Buchstaben waren teils nur Fragmente und nicht brauchbar.
Da ich aber vor Jahren bei einer Ausstellung zufällig einzelne Minibuchstaben als Ätzteile kaufte, kamen diese endlich zum Einsatz.
Die Verarbeitung glich einem chirurgischen Eingriff mit Pinzette und Mikroskop am Operationstisch.
Die Motorhaube habe ich geschlossen verklebt um mir weitere Arbeit in Form einer Motornachbildung zu ersparen. Es reicht doch schon die Arbeit aus, die mir das Modell ohne Motor macht.
Alle Karosseriearbeiten wurden mit 2K Autospachtel gemacht, um mir das spätere Einsinken von den bearbeiteten Flächen zu ersparen.
Grundiert wurde mit Tamiya und lackiert mit der bestellten Ebay Spraydose.
Es ging alles glatt... im wahrsten Sinne. Der Lack war sehr glatt und der Glanz satt.
Nur trocknen wollte das Ganze nicht richtig...sogar nach Tagen, Wochen, Monaten!!!
Zum Glück kam in der langen Wartephase privat eine neue Küche dazwischen.
Irgendwann sollte das Modell dann aber doch fertig werden aber selbst nach einem
halben Jahr, konnte man noch leichte Fingerabdrücke beim längeren Festhalten des Bodys
erkennen.
Ablacken kam nicht in Frage da sonst sämtliche Karosseriearbeiten zunichte gewesen wären.
Also wurde das Modell zum Fertigstellen nur noch an unempfindlichen Stellen angefasst, in der Hoffnung, dass der Lack doch irgendwann in ein paar Jahren aushärtet....
Das Chassis wurde von einer zweiflutiger Auspuffanlage korrekt auf einflutig geändert. Der falsche Radstand wurde korrigiert und eine Motornachbildung eingebaut, weil sonst ein Loch dort gewesen wäre wo der Motor sitzt.
Die inneren Radhäuser wurden ergänzt um einen Durchblick von einer Seite zur Anderen zu verhindern.
Das Interior hatte es auch in sich, da es viel zu breit war. Heißes Wasser brachte es aber in die gewünschte Form.
Interior und Chassis passten zusammen nicht unter die Karosserie und mussten beide auf den Innenseiten bis zu einem hauchdünnen Maß heruntergeschliffen werden.
Ein Lenkrad musste aus einem bestehenden Chevy Lenkrad gebaut werden, da im Kit keines vorhanden war.
Der Hupring wurde aus feinem Silberdraht hergestellt.
Bei den Scheinwerfern mit den Zierringen musste ich ebenfalls auf Restbestände zurückgreifen, weil diese im Kit standardmäßig fehlten.
Das nicht vorhandene Stehblech hinter der Stoßstange zum Kühler hin musste auch aus Plastikmaterial erzeugt werden.
Die mitgelieferten Scheiben als Tiefziehteile waren für dieses Modell völlig unbrauchbar.
Da tat es gut, dass man auf ein lange zuvor wild bestelltes Konvolut von Modelhaus Scheiben zurückgreifen konnte.
Trotzdem war wieder ein aufwändiges Scheibeneinklebeverfahren notwendig.
Die gänzlich fehlenden Radkappen konnten durch ein zufällig übriges Set des 50er Cadillac
von Modelhaus ergänzt werden. Diese sind fast identisch mit den Lincoln Originalen bis auf das Markenemblem in der Mitte welches durch einen Miniatur Fotodruck ersetzt wurde.
Zuvor mussten die Radkappen jedoch wegen unsauberer Oberfläche entchromt und neu beschichtet werden.
Weitere negative Details möchte ich dem werten Leser hier ersparen.
Irgendwie, irgendwo, irgendwann (frei nach Nena) wurde der Lincoln dann doch einmal fertig.
Abschliessende Betrachtung:
Eine Empfehlung für diesen Kit auszusprechen, wäre glatter Hohn.
Außer man steht auf extreme „Bastelschmerzen“ und liebt die absolute Herausforderung.
Doch wie im richtigen Leben, kommt nach der Arbeit der Lohn und all die Mühe hat sich
scheinbar doch gelohnt.
Die vielen Nachfragen auf der Messe in Frankfurt und das Lob meiner Bastelkollegen gaben mir die Bestätigung.
Nie...nie, nie mehr ein Resin Kit von R&R. So war mein Gedanke beim ganzen Bau hindurch bis zum Schluss hin.
Man wird es mir kaum glauben aber ich halte schon wieder einen R&R Kit in meinen Händen.
Bin ich denn komplett verrückt???
Modell, Text und Bilder: Oliver Löbert, Ansbach
Kommentar schreiben
Robert (Sonntag, 24 November 2019 10:03)
Hi Oli, unglaublich, was du aus dem R&R Kit herausgeholt hast! Ein leicht schadenfrohes Grinsen kann ich mir aber doch nicht verkneifen, weil ich ja weiß, dass diese Grotten einen oft zum Wahnsinn treiben.
Und dass Du wieder einen R&R Kit anfängst, wundert mich überhaupt nicht. Du wirst es erleben: Im Laufe der Zeit wird man süchtig nach diesen Herausforderungen.
Getreu meinem Motto: "Modelhaus kann jeder"
ChV (Sonntag, 24 November 2019 15:16)
Gratulation, der Mühe Lohn ist hoch, tolles Modell.
Herzliche Grüße, Christian
Gerhard (Sonntag, 24 November 2019 17:10)
Gratuliere Oliver, einprägsamer und genauer kann man "Die Leiden des jungen Löbert" und ihre letztlich dennoch perfekten Lösungen beim Bau dieses Modells nicht beschreiben! Trotzdem kommt eine gewisse, feine Ironie in dem Bericht nicht zu kurz, und gerade diese Fähigkeit, sich selbst nicht so wahnsinnig wichtig zu nehmen, macht das Ganze so sympathisch. Im Übrigen spricht das Ergebnis in Form dieses trotz allem wunderschönen Modells ganz klar für Deine überragenden modellbauerischen Fähigkeiten. Und als Kommentar zu Deinem letzten Satz kann ich Dir nur zurufen: "Ja, aber Du bist nicht allein!!!"
Oliver Löbert (Sonntag, 24 November 2019 17:13)
Ja Robert, dir wollte ich damit eigentlich einen Beweis liefern das ein R&R Kit gar nicht so schlimm sein kann.... Learning the hard way würde der Engländer oder Ami sagen. Nun denn, ich habe zumindest bewiesen das man mit viel Aufwand auch aus einem R&R etwas Gutes machen kann. Ob es nun die ganze Mühe wert war steht auf einem anderen Blatt, ich meine schon und bin nun ganz stolz auf den Lincoln. Danke für die Erfahrung Robert!
Oliver Löbert (Sonntag, 24 November 2019 17:21)
Danke Gerhard (Plastik Guru) für die netten Worte und die Bezeichnung "jung" was aber mit fast 55 Jahren leicht schmeichelnd herüberkommt.
Günther (Sonntag, 24 November 2019 19:22)
Meine Hochachtung für den R&R Bezwinger Junker Oliver. Wer einmal in R&R Blut gebadet
hat, der ist quasi unverwundbar und kann zukünftig mit Leichtigkeit die schlimmsten
Kernseifen Grotten zusammennageln die`s gibt. Als Jungtalent so eine Arbeit abzuliefern,
ist bemerkenswert. Ich liebe Lincolns sowiso und der hier hat auch noch das Habenwollen
Gen eingebaut.Aber das haben Löbertsche Kreationen ja meistens.
Reinhold (Montag, 25 November 2019 08:11)
Hier stellt sich wieder einmal die Frage: "Warum machen wir das bloß, dass wir unsere kostbare Freizeit mit dieser Art von Selbst-Geißelung vertreiben?" Aus Langeweile? Aus Freude am Basteln? Weil wir auf gerne an unseren Basteltischen sitzen, unsere Augen und Wirbelsäulen ruinierend fluchend versuchen, aus umweltfeindlichen Kunststoffschrott nutzlose Staubfänger zu bauen? Nein - weil wir nach vollendeter Tat Stolz auf das Geleistete sind, auch wenn es nicht 100%ig so geworden ist wie ursprünglich geplant. Und natürlich auf die anerkennenden Worte unserer Mitstreiter, da nur die wissen oder zu mindestens ahnen können, was man seelisch und körperlich alles durchmacht, bis das fertige Modell vor einem steht. Olli, da hast Du wirklich Großes geleistet - Gratulation! Ich bewundere vor allem Deine Geduld und auch Deine Liebe zum Detail - ganz großes Kino!
Oliver Löbert (Montag, 25 November 2019 15:41)
Mensch ihr seid ein toller Haufen! Danke an Alle für die aufmunternden und wertschätzenden Worte. Das tut gut und gibt Mut und Kraft für die nächste Herculesaufgabe wieder in Form eines R&R Kits. Der darf aber nicht so lange dauern und deswegen werde ich bei der Lackwahl auf bewährtes Material zurückgreifen und keine Experimente mehr mit angemischten Lackdosen machen. Robert weis was ich meine.
rainer (Montag, 25 November 2019 17:14)
...wieder mal ein sehr interessanter, spannender Beitrag vom big-master of Resin.
Da kann man alle Höhen und Tiefen eines Modellbauers erfassen und erahnen. Da war ja einiges an Willenskraft von Nöten !
Da bin ich schon fast froh, daß ich als ganz normaler Bausatz-Papper mich nur mit Revell, Monogram, amt usw. beschäftigt habe. Aber auch da gab es grottenschlechte Sachen (siehe Renwal, Palmer oder Pyro etc.).
Was soll's. Zurück zum R&R Lincoln. Dieses Ergebnis rechtfertigt jede Mühe.
Hut ab, und herzliche Grüße