Woodgatti

WOODGATTI


Was passiert, wenn man einem leidenschaftlichen Auto- und Schiffsmodellbauer die Fragmente eines Bugatti Royale- Bausatzes im Maßstab 1:16 in die Hand drückt? Es entsteht ein Automodell – nein, ein Kunstwerk, das die gängigen Modellbau Vorstellungen weit hinter sich lässt...


Die Idee


Das „Boattail“ (=Bootsheck) zählte in den ´20er und ´30er Jahren zu den sportlichsten und elegantesten Karosserieformen, die reiche Kunden für viel Geld erstehen konnten. Was lag also näher, als die kläglichen Reste eines verpfuschten Bugatti Royale- Modells von Bandai im Maßstab 1:16 mit einer Boattail-Sonderkarosserie aus Holz zu neuem Leben zu erwecken, zumal die einschlägigen Techniken beim dreieinhalb Jahre dauernden Bau der „Amerigo Vespucci“ bestens eingeübt werden konnten?


Der Motor


Vom Basis-Modell fanden schließlich nur mehr die Bodenplatte mit den Kotflügeln, der Rahmen, Teile der Motorhaube, Kühlergrill und Scheinwerfer, Felgen und Reifen sowie die Motornachbildung Verwendung. Letztere präsentierte sich bereits im Originalzustand recht gut ausgearbeitet – sogar den Zapfenschliff am Motorblock hat Bandai seinerzeit akribisch nachgebildet -, wurde aber nach Vorbildfotos mit dünnen Messingleitungen sowie weiteren Kabeln und Schläuchen noch eingehender detailliert.

Das Fahrwerk

Bereits nach den ersten Entwurfszeichnungen war klar, dass die extrem lang gezogene Holz-Karosserie nur mit einem radikal tiefer gelegten Fahrwerk harmonisch wirken würde. Die Achsen des Bugatti Royale eigneten sich dafür allerdings nicht, so dass nach längerer Suche die Reste eines Cadillac V16 von Gakken, ebenfalls im Maßstab 1:16, als Organspender dienten. Um dem Gewicht des Woodgatti zuverlässig standzuhalten, wurden diese Achsen mit massiven Querstreben verstärkt.


Die Bodenplatte

Auch das größte übernommene Bausatzteil, die Bodenplatte, musste einschneidende Änderungen über sich ergehen lassen. So wurden die Seitenteile der vorderen Kotflügel durch Einsetzen von Plastik-Sheet verlängert und die hinteren Radausschnitte auf die gleiche Art und Weise komplett verschlossen.


Die Chrom-Applikationen hinter den vorderen Radausschnitten stammen wiederum vom Cadillac V16, die in die hinteren Kotflügel eingearbeiteten Rücklichter entstanden aus Aderendhülsen und Stecknadelköpfen. Zudem mussten die Innenseiten der hinteren Kotflügel ganz erheblich ausgeschliffen werden, um Platz für die neue Karosserie zu schaffen. Dadurch entstanden hässliche Löcher, die es wiederum sorgfältig auszufüllen galt.


Die Karosserie


Die Materialliste für die Karosserie könnte original aus dem Schiffsmodellbau stammen: 5 mal 5 mm Fichtenholzleisten für den Grundrahmen, 3 mm Balsaholz für die Spanten, Zederfurnier für die erste Beplankung, Birnenfurnier für die zweite Beplankung und Palisanderfurnier für den Innenraum.


Als Ausgangspunkt für alle Maße der Karosserie diente die Feuerwand des Bausatzes. Von dort aus wurde die in Dutzenden von Zeichnungen festgelegte Grundfom des neuen Karosseriebodens exakt vermessen, mit einer Schablone auf ein Holzbrett übertragen und dort mit eng gesetzten Nägeln exakt festgelegt. Mit diesen Nägeln ließen sich dann die zuvor in Wasser eingelegten und dadurch biegsamen Fichtenholzleisten in der Form fixieren, die schließlich den Grundrahmen für die Karosserie bildete. Zur Stabilisierung des Ganzen wurden zusätzlich noch Querträger und Versteifungen aus Fichten- sowie Balsaholz eingeleimt und -genagelt.


Wie bei einem umgedrehten Schiffsrumpf musste nun die Form der Karosserie mit  panten festgelegt werden. Den Ausgangspunkt für diese Arbeiten bildeten zahllose Entwürfe, in denen das Verhältnis Breite/Höhe/Länge sowie die Lage der Öffnungen (Türen, Front- und Heckscheibe, Reserveradmulde, Tankverschluss) genauestens berechnet werden mussten. Die Spanten selbst entstanden aus Balsaholz und wurden auf den Fichtenholz-Grundrahmen teils geleimt, teils genagelt.


Die erste Beplankung der Außenhaut entstand aus 5 mm breiten Streifen Zederfurnier, das anschließend zwei- bis dreimal sorgfältig verschliffen wurde. Für die zweite Beplankung musste Birnenfurnier maschinell in ebenfalls 5 mm breite Streifen geschnitten und in Grätenbauweise aufgebracht werden. Daraufhin erfolgte tagelanges Verschleifen der Rohkarosserie mit Schleifpapier der Körnungen 600 bis 1000 und der anschließenden Diagnose „Staublunge“!


Nach der Fertigstellung der noch völlig geschlossenen Rohkarosserie ließ sich die Lage der Türen, der Seitenscheiben, der Windschutzscheibe, der beiden Heckscheiben, des Tankdeckels und der Reserveradmulde mit Transparentpapier festlegen. Schablonen aus Karton dienten schließlich als Vorlage für das Ausschneiden, nach Art eines Mikrochirurgen mit dem ganz feinen Skalpell.


Die Lackierung


Den Ausgangspunkt für die Lackierung sowohl der mehrfach gespachtelten Plastikteile als auch der Karosserie bildete einmal mehr endloses, nervtötendes Schleifen aller bisher fertig gestellten Komponenten. Für die Bodenplatte und die Motorhaube fand sich in Anlehnung an das legendäre Bugatti-Blau eine Spraydose, deren Farbauftrag mit einem dreifachen Klarlackauftrag versiegelt wurde. Für den Glanz der Karosserie sorgte ein Acryl-Hochglanz-Klarlack, dessen fünf Schichten vor jedem neuen Auftrag mit 1000er Leinen verschliffen wurden.

Die Innenausstattung


Der Boden des Innenraums entstand, ebenfalls nach Schablone, aus Palisanderfurnier. Aus der Mitte der Bausatz-Sitzbank wurden 1,4 cm heraus getrennt, bevor sie wattiert, mit Echtleder überzogen und mit braunen Steppnähten versehen wurde. Das Armaturenbrett nimmt das Boattail- Thema auf und entstand wie die Konsole aus Balsaholz. Für die Instrumente kamen Aluhülsen und entsprechende Decals zum Einsatz, der Rest entstammt dem Bausatz.


Motorhaube und Kühlergrill


Aus den Seitenteilen der Motorhaube wurden rechteckige Öffnungen ausgeschnitten und mit blauer Folie hinterlegt. Als Lufthutzen kamen die halbierten Spritztüllen einer Silikonkartusche zum Einsatz, die passend zur Karosserie mit Birnenfurnier verkleidet wurden. An die Stelle des Bausatz-Gitters im Kühlergrill trat das Netz eines Küchensiebs, das sich auch in den vorderen Öffnungen der beiden Lufthutzen wiederfindet. Die traditionelle Bugatti-Kühlerfigur, der Elefant, wurde einer vorhandenen Modeschmuck-Kette entwendet, was längere, hochnotpeinliche Verhöre nach sich zog (trotzdem: Danke, Elisabeth!).


Die Detailarbeiten


Der Woodgatti verfügt über zahlreiche kleine, aber wohlüberlegte und effektvolle Details. So gibt es am Heck ein umklappbares Kennzeichen, die Auspuffrohre sind harmonisch links und rechts in das Bootsheck integriert und der abnehmbare Tankverschluss legt einen Chromdeckel frei. Über die gesamte Karosserie zieht sich nach Art des Bugatti Atlantic eine dominierende Finne, die aus Balsaholz besteht und sich dank eines Scharniers im Bereich des Reserverads wegklappen lässt, um ein Entnehmen desselben zu ermöglichen. Schließlich sorgen mehr als 300 Nägel aus dem Schiffsmodellbau dafür, dem Woodgatti ein unverwechselbares Erscheinungsbild zu verleihen. Jeder einzelne davon wurde abgeschnitten und mit Sekundenkleber in einem extra dafür gebohrten 1 mm-Loch fixiert. Der massive Holz-Einsatz an der Karosserie erforderte ein Gegengewicht an der Fahrzeugfront. Zum Einen waren das die seitlichen Hutzen an der Motorhaube, zum Anderen die aus Holz gefertigte Stoßstange. Sie entstand aus drei Teilen, die aus Balsaholz vorgefertigt, danach mit Furnier belegt und schließlich wie die Karosserie lackiert wurden.

Den Abschluss bildete das Anbringen der hellen, seitlichen Holz-Zierleisten aus 1,5 mm breitem Palisanderfurnier und das Auflackieren der roten Streifen in den Radkappen mit Pinsel und Wasserfarben. Ein bunter Teile-Mix aus dem Bugatti-Bausatz (Türgriffe, Scheinwerfer) und dem Cadillac V16 (Signalhörner, Scheibenwischer) beendete das Abenteuer „Woodgatti“ nach einer Gesamt-Bauzeit von 278 Stunden – viel Arbeit, zahlreiche durchwachte Nächte, eine Menge Stress, aber auch ein einmaliges Erlebnis und für seinen heutigen Besitzer die Manifestation einer wunderschönen Freundschaft!

Modell, Text und Bilder: Siegfried Hagen, Traismauer, Österreich

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