Geheimnisvolle Bausatz-Geschichten
MYSTERIOUS KITS TEIL III
RENWAL REVIVALS – "DIE GLORREICHEN SIEBEN"
FOLGE 1: DIE VIER BAUSÄTZE DER ERSTEN SERIE
Was genau steckt hinter den Bausätzen der unglaublichen "Renwal Revivals" im Maßstab 1:25 aus den Jahren 1965/66?
Und was stellte Renwal sonst noch her? Eine hoch interessante Spurensuche in der Vergangenheit des Plastikmodellbaus...
DIE FIRMA RENWAL
Die Firma "Renwal Products Inc." aus Mineola im US-Bundesstaat New York produzierte von 1950 bis zur Übernahme durch Revell in der Mitte der ´70er Jahre die unterschiedlichsten Plastikbausätze.
Neben dem Spaß am Modellbau legte Renwal stets besonderen Wert darauf, mit den Bausätzen komplexe Zusammenhänge zu erläutern und Wissen zu vermitteln. So entstand im Laufe der Jahre eine
ungeheuer vielseitige und interessante Produktpalette, die noch heute auf eindrucksvolle Weise belegt, welche Möglichkeiten der Plastikmodellbau in seiner Blütezeit bot.
Bekannt wurde Renwal in erster Linie durch eine bemerkenswerte Reihe äußerst lehrreicher Anatomie-Bausätze, die zum Teil als "visible" (= durchsichtige) Kits gestaltet waren. Hierzu gehörten "The
Visible Man", "The Visible Woman", "The Visible Head", "The Visible Horse", "The Visible Cow", "The Visible Dog" und viele andere durchsichtige Tiere wie Vögel, Fische und sogar Reptilien. Zu den
weiteren Höhepunkten des Renwal-Programms zählten darüber hinaus "The Visible V8 Engine", ein durchsichtiger, funktionsfähiger V8- Motor im Maßstab 1:6 und das dazu
gehörige "Auto Chassis", das alle Funktionen eines Auto-Fahrwerks wie Lenkung, Federung und Bremsen nachempfand. Weitere Technik- Bausätze stellten Schnittmodelle bekannter U-Boote, die ersten
Flugzeuge, ein Planetarium oder einen
"Electrostatic Generator" dar. Eine eigene HO-Reihe bot technisches Zubehör für die elektrische Eisenbahn, im Maßstab 1:35 gab es Militär- Bausätze mit zahlreichen
vorbildgetreuen Funktionen und eine Serie kleiner Kriegsschiffe durfte ebenfalls nicht fehlen.
An dieser Stelle müssen natürlich auch die seinerzeit unglaublich fortschrittlichen Renwal-Autobausätze im Maßstab 1:12 Erwähnung finden. Die hierzulande von einigen Revell-Wiederauflagen
bekannten Großmodelle des Mercedes 300 SL Flügeltürers, des 1965er Ferrari 275 GTB und des Ford Mustang Fastback Coupes waren ursprünglich
Entwicklungen von Renwal, ebenso der 1937er Cord 812, der später bei amt erschien. Keine Wiederauflage gab es dagegen von den phänomenalen "Renwal Revivals" im Maßstab 1:25, mit deren erster
Serie von vier Bausätzen wir uns nun ausführlich beschäftigen wollen.
DIE ERSTE SERIE DER RENWAL REVIVALS
"A Modern Version of a Great Classic Car" ("Die moderne Version eines großartigen Klassikers") lautete der Slogan auf jeder Renwal Revival-Schachtel. Kein Geringerer als der legendäre
Chrysler-Designer Virgil Exner (siehe auch "Imperial – The Finned Years" Teil 1 und 2 in dieser Rubrik sowie "Point of no Return" in der Rubrik "Originale") entwickelte in den ´60er Jahren die
Visionen moderner Fahrzeuge längst verblichener Firmen wie Duesenberg, Stutz, Packard, Mercer, Pierce Arrow, Jordan und Bugatti.
Zwei dieser Fahrzeuge wurden sogar im Maßstab 1:1 verwirklicht: Mr. Exner kaufte nach dem Konkurs Bugattis das letzte Fahrgestell und ließ es nach seinen Vorstellungen bei Ghia einkleiden, der
Mercer dagegen wurde auf einem verlängerten Cobra-Fahrgestell für die Copper Development Association gebaut. Beide Autos befinden sich heute in der "Lyons Collection" in Kalifornien, die leider
nicht öffentlich zugänglich ist.
Aufmerksame Beobachter werden feststellen, dass Virgil Exner viele seiner Ideen aus der Zeit bei Chrysler in die Revivals einfließen ließ. So erscheint die Form der vorderen Kotflügel mit den
"Höhlen" für die freistehenden Scheinwerfer des 1961er Imperials fast unverändert (allerdings ohne Scheinwerfer darin) beim Duesenberg und die "Fender Blades" (= klingenartigen Kotflügel) seines
Valiants und des 1962er Dodge- sowie Plymouth-Jahrgangs finden sich beim Mercer und beim Bugatti wieder. Darüber hinaus weisen alle sieben Entwürfe eine sehr ähnliche Heckgestaltung auf – auch
einem Genie können mal die Ideen ausgehen!
Renwal brachte offensichtlich die erste Serie von vier Bausätzen (Duesenberg, Packard, Stutz und Mercer) bereits 1965 auf den Markt, um dann 1966 die restlichen drei (Pierce Arrow, Jordan Playboy
und Bugatti) nachzuschieben. Heute ist es schon schwer (und teuer!) genug, die etwas häufiger angebotenen Bausätze der ersten Serie aufzutreiben, aber fast unmöglich, ein Exemplar der letzten
drei vor die Flinte zu kriegen...
Renwal Revivals zu bauen erfordert starke Nerven und viel Einfühlungsvermögen. Mit separat einsetzbaren Fensterrahmen und ähnlichen Gimmicks waren diese Bausätze in den Jahren 1965/66 zweifellos
High Tech-Kits, andererseits zeugen die schlechten Passungen und viele andere Unzulänglichkeiten von schneller, wenig durchdachter
Entwicklungsarbeit. Alle Löcher und Passungen sind zu klein, überall bleiben Lücken und Spalten – nach heutigen Maßstäben eigentlich unbaubar!
Üblicherweise werden die kompletten Rohkarossen lackiert, aber wegen den Teilungen der Karosserien und den Innenraumwannen, die nach dem Lackieren eingesetzt werden mussten, war hier eine andere
Vorgehensweise vonnöten.
Auch die Baupläne boten wenig Hilfe, da genau überlegt werden musste, wo was zu zerschneiden war, damit nachher auch noch das Innenleben Platz fand. Die größten Schwierigkeiten ergaben sich beim
Mercer und beim Pierce Arrow, gefolgt vom Duesenberg, dessen Schachtelinhalt nur wenig mit dem Abbild auf der Box zu tun hat. Hier die vier Modelle der ersten Serie im Einzelnen:
DER DUESENBERG
Wenn man davon ausgeht, dass das Bild auf der Schachtel Virgil Exner´s Idee wiedergibt oder vielleicht sogar von ihm selbst stammt, hat der Inhalt nicht besonders viel damit zu tun. Der
Frontlampen-Pod ist zu kurz, der Radlauf zu groß und der Heckbereich sieht anders aus, weil die Seitenflosse fehlt. So wurde das Lampengehäuse nach hinten verlängert und der Radlauf im vorderen
Bereich mit 1,5 mm Plastik-Sheet aufgedoppelt, nicht ohne die Konturen danach wieder sorgfältig anzugleichen. Die Bodenplatte wurde nach dem hinteren Radlauf – vor dem Tank – durchgeschnitten und
das dadurch entstandene, etwa 4 cm lange Heckteil an die Karosserie geklebt. Danach ließ sich der gesamte Heckbereich mit Plastikstreifen und Spachtelmasse an das Deckelbild angleichen.
Die angedeuteten Langlöcher im Auspuff-Schutzschild wurden aufgebohrt, ausgefeilt und mit einem Stück verchromten Gießastes hinterlegt. Wirklich schlimm sind bei diesem Modell aber die Renwal
Revival-Einheitsräder: Wenn man davon ausgeht, dass Virgil Exner originale Duesenberg-Speichenräder vorsah, bleibt nichts anderes übrig, als die
Bausatz-Teile durch seltene und teure fotogeätzte Zurüstfelgen von CMC zu ersetzen. Noch rarer als diese Pretiosen sind die gefrästen und gerändelten Duesenberg Nabendeckel der Manufaktur
Flechsig aus München, die hier ebenfalls zum Einsatz kamen. So verfügt das goldene Fotomodell zwar über adäquates Schuhwerk, aber der äußerst reizvolle Umbau mit einem Monogram-Duesenberg-Rahmen
samt Motor unterblieb – schließlich handelt es sich um ein Clay- Modell, dessen Technik unbekannt ist.
DER PACKARD
Dieses Renwal-Modell bereitete erstaunlicherweise kaum Probleme. Die Formtrennung erleichterte eine Zweifarben- Lackierung ganz erheblich und wenn man davon absieht, dass der verchromte
Scheibenrahmen anscheinend nicht zum Bausatz gehört, stellte die Entstehung der beiden Packard-Repliken die reinste Erholung dar (dafür musste späterallerdings noch richtig gebüßt werden!).
Die Bodenplatte sollte an den Vorderwagen geklebt werden, um beides auf einmal lackieren zu können. Der Rest der Karosserie wurde wievorgesehen an der Spritzwand am Vorderteil festgeklemmt und
hinten verschraubt. Die Innenausstattung ließ sich
ohne Stress einfach einsetzen – so schön könnte Renwal bauen sein...
DER STUTZ
Auch der Stutz zeigte sich von der eher problemlosen Seite, außer – man ahnt es bereits! - beim Einsetzen des verchromten Scheibenrahmens mit den beiden Zierleisten für das Dach. Während die
Karosserie-Teilung für die Zweifarben-Lackierung perfekt ausfällt, mussten die Halterungen der hinteren Stoßstange massiv geändert werden, da diese sonst auf einer Seite um gute 3 mm übersteht.
DER MERCER
Wer seine Sünden büßen will oder muss, sollte dazu verurteilt werden, einen Renwal-Mercer zu bauen (Kleiner Vorgriff: Schlimmer als der Pierce Arrow und der Jordan Playboy zusammen!). Unter
anderem wurde fast ein halber Bogen "Bare Metal Foil Copper" verarbeitet und nur wer weiß, wie "gut" sich Kupferfolie verarbeiten lässt, kann die Bedeutung dieser Tatsache ermessen. "Bare Metal
Foil Chrome" aufzubringen und zu schneiden ist bekannterweise kein Problem – "Copper" dagegen lässt sich kaum bändigen und nicht vernünftig schneiden, reißt sofort und verhält sich einfach
widerlich.
Text und Modelle: Günther Eberhardt, München
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